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When Water Embraces Empty Space

Das sagt der/die Veranstalter:in:

Im Mittelpunkt der neuen Einzelausstellung von Tuấn Andrew Nguyễn, When Water Embraces Empty Space, steht das Bild eines beeindruckenden, in Handarbeit gefertigten Holzboots. Videoinstallationen, Fotografien und gemeinschaftlich hergestellte Objekte, die im gesamten Haus verteilt sind, erzählen die bis in die Gegenwart reichende Geschichte dieses Boots.

Das Luf-Boot, ein 16 Meter langes Ausleger-Segelboot, ist nach der Insel Luf in Papua-Neuguinea benannt, von der es stammt. Das lokale, seit langer Zeit überlieferte Wissen über Pflanzen und das Meer, das erforderlich war, um ein solches Boot zu bauen, ist höchst bemerkenswert. Generationen von Menschen, die in Berlin aufgewachsen sind, kennen dieses großartige Objekt von Schulausflügen in das Ethnologische Museum in Dahlem. Seit 2020 befinden sich Stücke aus der Sammlung dieses Museums im Humboldt Forum, wo das Luf-Boot als Prunkstück der Institution präsentiert wird.

Der Historiker Götz Aly hat in seinem Buch Das Prachtboot aufgedeckt, dass hinter der Ankunft des Luf-Boots in Berlin eine düstere und beunruhigende Geschichte steht. Das Objekt ist untrennbar verbunden mit der anhaltenden Gewalt, die von der kaiserlichen Marine und deutschen Kaufleuten auf die Bevölkerung von Papua-Neuguinea ausgeübt wurde. Der Wald und die natürlichen Lebensgrundlagen der Insel wurden zerstört und durch Plantagen ersetzt, auf denen die indigene Bevölkerung Zwangsarbeit leisten musste; indigene Frauen wurden von den Kolonisatoren vergewaltigt. Wenn sich Inselbewohnenden gegen diese Grausamkeiten wehrten, befahl die kaiserliche Marine – wie im Fall von Luf – ihre Tötung durch sogenannte „Strafexpeditionen“.

Das Humboldt Forum gab 2021 ein Video-Interview mit Nachfahren der wenigen Überlebenden in Auftrag, die die koloniale Gewalt auf Luf überlebt hatten. Darin äußerten sie den Wunsch, das Boot zu sehen. Sie bedauerten, dass ihre Gemeinschaft das Wissen verloren habe, wie man solche Schiffe baut, und sie formulierten die Hoffnung, eine neue Verbindung zu dem Boot herzustellen.

An diesem Punkt setzten Tuấn Andrew Nguyễns Erkundungen an: Sein Ziel war, diesen Wunsch zu erfüllen und die Begegnung zu ermöglichen. Der Künstler sieht im Luf-Boot eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischen der vorherrschenden Erzählung des deutschen Kolonialismus und den ausgelöschten Geschichten der Menschen in Papua-Neuguinea. Es ist eine Brücke zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Zeugnis und Resilienz.

Eine Reihe von Videoinstallationen erzählen zusammen eine Geschichte; diese beruhen auf Gesprächen zwischen den Nachfahren der Erbauer des Luf-Boots – Stanley Inum, Stanley Fordy und Enoch Lun – und dem Team des Humboldt Forums, umfassen aber auch eine Dokumentation der lange ersehnten Begegnung der Inselbewohner mit dem Boot. Andere Videos dokumentieren, wie die Luf-Community, das Boot nachbaut. Es sollte etwas entstehen, das die Kluft zwischen dem Objekt und der Geschichte, zwischen denen, die es hergestellt haben, und denen, die es aufbewahren, zwischen Trauma und Heilung überwinden sollte.

Der Kolonialismus zerstört und beherrscht die Erinnerung. Welche Strategien haben wir, um nach all den Zerstörungen die Erinnerung wiederherzustellen? Kann die Fiktion die Lücken füllen und in den verbleibenden Leerstellen eine heilende Wirkung entfalten?

Vielleicht sollte das Boot aus dem Museum, in dem es ausgestellt wird, hinausgleiten und im Meer verschwinden, wie es seine ursprüngliche Bestimmung war – eine Seebestattung für den Anführer von Luf. Oder als eine umfassendere, eher metaphorische Bestattung der Fortschreibung kolonialer Ideale in der Gegenwart.

Tuấn Andrew Nguyễns künstlerische Praxis untersucht die Kraft der Erinnerung und ihr Potenzial, zu einer Form des politischen Widerstands zu werden. Die Arbeit des vietnamesisch-US-amerikanischen Künstlers beruht auf Recherchen und auf seinem Engagement für Gemeinschaften, die durch Kolonialismus, Krieg und Vertreibung traumatisiert wurden. Mit seinen zahlreichen Versuchen, schwindende oder verlorene historische Erinnerungen zu bearbeiten, dokumentiert Nguyễn die Auslöschungen, die das koloniale Projekt in vielen Regionen der Welt verursacht hat. In seiner kooperativen Praxis erforscht er die Erinnerung als eine Form von Widerstand und Ermächtungung; dabei betont er besonders, wie das Geschichtenerzählen Heilungsprozesse, Empathie und Solidarität fördern kann.

Nguyễn wurde mit mehreren Film- und Kunstpreisen ausgezeichnet; so erhielt er 2010 ein Stipendium der Art Matters Foundation und wurde vom VIA Art Fund gefördert. 2023 wurde ihm der Preis der Joan Miró Foundation verliehen. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt, darunter die Asia Pacific Triennale 2006, die Whitney Biennale 2017, die Sharjah Biennale 2019 und die Berlin Biennale 2022.


Nguyễn war 2006 Mitbegründer von The Propeller Group, einer Plattform für Kollektivität, die sich zwischen einem Kunstkollektiv und einer Werbeagentur verortet. Die Gruppe erhielt unter anderem den Hauptpreis der 19. Internationalen Kurzfilmtage Winterthur 2015 für den Film The Living Need Light, The Dead Need Music und eine Auszeichung von Creative Capital für ihr Videoprojekt Television Commercial for Communism. Neben einer umfangreichen Wanderretrospektive, die am MCA Chicago begann, nahm das Kollektiv an internationalen Ausstellungen teil, darunter The Ungovernables [New Museum Triennial 2012], die LA Biennial 2012, Prospect3 [New Orleans Triennial 2014] und die Venedig Biennale 2015.

Nach ihrer ersten Station in Oldenburg wird die Ausstellung in den kooperierenden Ausstellungsräumen The Showroom, London und The Goldfarb Gallery der York Universität in Toronto gezeigt.

Kuratiert von Edit Molnár und Marcel Schwierin.

Location

Edith-Russ-Haus für Medienkunst Katharinenstraße 23 26121 Oldenburg