In den 1960er-Jahren war New York Geburtsstätte zweier einflussreicher tänzerischer Strömungen. In der Judson Memorial Church in Downtown Manhattan markierte das Kollektiv Judson Dance Theater mit Mitgliedern wie Trisha Brown und Lucinda Childs mit experimentellen Ansätzen und minimalistischen Auftritten den Beginn des postmodernen Tanzes. Einige Kilometer Uptown in Harlem veranstalteten Schwarze und lateinamerikanische queere Personen die ersten Balls – von Maskenbällen und Hollywood-Stars inspirierte Wettbewerbe, bei denen die privilegierte weiße Bevölkerung in subversiven Performance- und Realness-Kategorien imitiert und in pompösen Kostümen und seit den 1980er-Jahren mit einem aus der Modewelt inspirierten Bewegungsrepertoire (Voguing) um Trophäen gekämpft wurde. Trotz der geografischen und zeitlichen Unmittelbarkeit ko-existierten beide Bewegungen und ihre Protagonist*innen weitgehend, ohne dass die Geschichte ein Aufeinandertreffen oder künstlerischen Austausch dokumentiert. Die Serie Twenty Looks or Paris Is Burning at the Judson Church des Choreografen Trajal Harrell untersucht die Risse und Brüche in dieser Geschichte.
Ein halbes Jahrhundert später stellt Harrell in einem Stück der Serie alo die Frage, was denn passiert wäre, wenn eine*r der frühen Postmodernen aus der Judson Church nach Uptown gegangen wäre, um in der Voguing-Szene von Harlem aufzutreten. In Judson Church Is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris Is Burning at The Judson Church (M2M) imaginiert der US-amerikanische Choreograf mit zwei weiteren Tänzern dieses fiktive Event in einem Akt spielerischer und lustvoller Konfrontation. Der Minimalismus und die Neutralität des Postmodern Dance trifft auf die Opulenz und Ausdruckstärke des Voguing und erschafft dabei ganz neue, in der historischen Wirklichkeit nie dagewesene Möglichkeiten. Und er findet einen gemeinsamen Nenner der beiden so konträren Stile: im Gehen. Zwischen Alltags- und Runway-Bewegungen schaffen drei Tänzer spannende Neuerzählungen über soziale Diskurse und ästhetische Einflüsse.
In München ist Trajal Harrell ein äußerst beliebter alter Bekannter. Beim DANCE Festival war er bereits 2015 mit Antigone Sr. Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church (L) und 2017 mit Caen Amour zu Gast. Unter der Intendanz von Matthias Lilienthal erarbeitete er mit langjährigen Tänzerkolleg*innen sowie Ensemblemitgliedern die Choreografien Juliet & Romeo und Morning in Byzantium. Mit Made-to-Measure, einer Sonderanfertigung der Projektreihe Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church, besinnt sich DANCE in diesem Jahr zurück auf die künstlerischen Wurzeln des US-amerikanischen Choreografen und zeigt eine Arbeit, die beispielhaft für das steht, was Harrell international so bekannt gemacht hat – die höchst sinnliche und einzigartige Verbindung von Voguing und dem frühen Postmodern Dance.
Preisinformation:
Ermäßigungen erhalten Studierende, Schüler*innen, Auszubildende, Arbeitslose, Senior*innen (ab 65) und Menschen mit Behinderung.