Tara Nome Doyle, das so eigen- wie feinsinnige Selfmade-Wunderkind aus Berlin, präsentiert mit Ekko ihr drittes Album. Es ist eine Reise in die Ferne, wo Neues wartet, und ins Innere, wo Altes wütet. Schmerz, Abschied, Ankunft und Akzeptanz prägen die halbe Stunde, die mit zarter Klarheit und hymnischen Refrains wie in Lighthouse, Bad Days und Dive In überzeugt. Große Pop-Gefühle treffen hier auf intime Räume.
Nach zwei Konzeptalben zeigt sich Ekko freier. Alchemy, ihr Debut Anfang 2020, folgte den vier Phasen der vormodernen Naturphilosophie, Værmin widmete 2022 jeden Song einem anderen Kriechtier. Konzepte sind oft Geländer, um sich beim ungeschützten Aufstieg jeder künstlerischen Arbeit etwas festhalten zu können. Aber es fühlt sich umso schöner an, wenn es auch ohne viel Hilfe geht. So wirkt Ekko allmählich wie der erste Free Climb von Tara Nome Doyle. Die Songs wollen und können nun freihändig stehen, steigen, wandern, wachsen.
Zur Befreiung gehört auch die Reduktion. Tara hat das Album weitgehend selbst produziert, unterstützt von ihrem Co-Produzenten und zweifachen Grammy-Gewinner Simon Goff (The Joker, Chernobyl) und Gunnar Örn Tynes (múm). Stimme, Klavier, Gitarre, Streicher, ein Mellotron und analoge Synthesizer prägen das Klangbild. Und bevor sie die Celli notieren ließ, hat sie jede der Streicherstimmen erst selbst eingesungen.
Die Stichworte antik und selbst sind Schlüssel, um die Eigenständigkeit der neuen Songs dennoch wieder für Außermusikalisches zu öffnen. Und beide Schlüssel hängen am selben Bund: Tara blickt auf Ekko ins Innere ihrer Künstlerinnenpersönlicheit, und verlässt diese von Ängsten und Zweifeln bedrohten Räume mit Erzählungen aus der Antike, die einen Ausweg zeigen. Der Versuch der Selbstreflexion, der bei guter Kunst nie fehlt: Nirgends hört man ihn klarer als in Lighthouse: ”You learned to cut yourself up / into bite-sized portions / praised for when you bow your head / in sweet devotion / cause everybody loves a thornless rose / but that’s not how they grow."
Wie konform man sein will oder muss, ist eine Frage, die nicht nur Musikerinnen umtreibt. Und hier kommt die Antike ins Spiel, die Figuren Narziss und die Bergnymphe Echo. Narziss verliebt sich unablässig in sein Spiegelbild, die Nymphe Echo wurde dazu verdammt, die Worte anderer zu wiederholen – Extreme zwischen Individualismus und Anpassung, die in der digitalen Welt relevanter denn je scheinen.
Was mit der Nymphe Echo - oder Ekko, wie Tara Nome Doyle schreibt, weil sie dem Mythos in einem Aufsatz der Norwegerin Lena Lindgren begegnet ist (Tara ist mit Norwegisch, Irisch und Deutsch aufgewachsen) - überlebt, ist die Erkenntnis, dass es zum Menschsein gehört, Dinge zu wiederholen. Dinge zu imitieren, die schon andere imitiert haben. Das muss kein Nachteil sein, das liegt in der Natur der kulturellen Übergabe, andere sagen Tradition dazu. Doch birgt jede Übergabe die Chance der Veränderung mit sich. Und da führt das Rohr wieder raus aus dem antiken Hintergrund direkt in ihre Gegenwart…
Ekko, das Album, kündet auch davon, dass man sich als Persönlichkeit oder als Künstlerin erst entfalten kann, wenn man von der Idee Abschied nimmt, eine besondere Persönlichkeit, eine besondere Künstlerin zu sei. Oder sein zu müssen. Um sich neu zu finden, muss man sich erst einmal abhanden kommen.
Das Schöne ist, dass Tara Nome Doyle für solche komplexen, lebenslangen Prozesse schon mit 27 Jahren klare Melodien und konkrete Bilder gefunden hat.