Biedermann und die Brandstifter — von Max Frisch — Premiere am 1. Oktober 2022 — Schauspielhaus, Kleines Haus
Immer wieder wird die Stadt von Feuersbrünsten heimgesucht. »Brandstiftung!«, heißt es. Hausierer sollen es gewesen sein. »Aufhängen sollte man sie!«, meint der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann. Ehrgeiz, Eitelkeit und Machtstreben gehören zu seinen Charaktereigenschaften. Als Unmenschen würde er sich nicht bezeichnen. Auch nicht, wenn er den Angestellten Knechtling rausschmeißt, der eine rechtmäßige finanzielle Beteiligung an einer Erfindung einfordert. Oder wenn er Knechtling mit einem Anwalt droht und ihm hinterherruft, er solle sich unter den Gasherd legen, was dieser dann auch prompt tut.
Ein Zeichen von Menschlichkeit ist nach Biedermanns eigenem Dafürhalten, dass er die Hausierer Schmitz und Eisenring bei sich aufnimmt, die ein Dach über dem Kopf suchen. Weder Biedermann noch seine Frau Babette haben deren dreisten Scherzen und frechen Forderungen etwas entgegenzusetzen. Von Geschichten über Schmitz’ schwere Kindheit und Eisenrings verpasste Lebenschancen lässt sich das Ehepaar um den Finger wickeln. Ob diese Sentimentalitäten auf Tatsachen beruhen oder zur Strategie der beiden Gäste gehören, bleibt mindestens fraglich. Dass sie durch ihre Charakterschwächen dem Bösen Tür und Tor öffnen, wollen Herr und Frau Biedermann nicht einmal dann wahrhaben, als Schmitz und Eisenring sich offen als Brandstifter zu erkennen geben, Benzinfässer auf den Dachboden schleppen und über die besten Zündmechanismen fachsimpeln. Schließlich ist »die beste und sicherste Tarnung« aller Scharfmacher*innen und Hetzer*innen noch immer »die blanke und nackte Wahrheit«, wie es im Stück heißt. »Die glaubt nämlich niemand.«
Regisseur Adrian Figueroa, der am Düsseldorfer Schauspielhaus in der Spielzeit 2021/2022 »Das Tribunal« von Dawn King zur Uraufführung brachte, bezieht Max Frischs »Lehrstück ohne Lehre« von 1958 auf die Gegenwart, ohne dazu in den Text einzugreifen. Denn auch heute gilt, was Literaturkritiker Hellmuth Karasek mit Blick auf das Nachspiel zum Stück bereits vor Jahrzehnten schrieb: »Der Terror kann sich unverblümt geben, sobald er den Bürger mitverstrickt hat, ihn zum Mitschuldigen machte. Er kann sich darauf verlassen, dass das Opfer nicht glauben wird, was es ahnt. Die Feigheit verschließt noch vor der Wahrheit Augen und Ohren.« Bleibt die Frage, wen wir heute in Max Frischs Parabel erkennen, wen wir als Brandstifter identifizieren, wen als Biedermann. Und wen als Chor der Feuerwehrleute, in einer Zeit, in der Begriffe wie »Gewissen« und »Moral« negativ besetzt sind und »Gutmensch« ein Schimpfwort ist.<<