Die Emde Gallery freut sich, in der zweiten Einzelausstellung von Alexandra Sonntag einen weiterführenden Einblick in das vielseitige malerische Schaffen der Künstlerin zu präsentieren.
Alexandra Sonntag nimmt in ihren Werken oft ihr eigenes Leben als Ausgangspunkt, indem sie flüchtige Erlebnisse und Erinnerungen des Alltags in vielschichtige, erzählerische Bildwelten übersetzt. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung stehen Werke aus der 2021 entstandenen, titelgebenden Serie „Homeland“ – mittel- bis großformatige Ölgemälde, in denen sich die Künstlerin kritisch mit dem Begriff der Heimat auseinandersetzt. Einem Begriff, der oft verbunden ist mit den Gebäuden, in denen wir aufwachsen, und den Orten, die uns umgeben.
Entsprechend sind die Werke inspiriert von den architektonischen und landschaftlichen Gegebenheiten, welche den täglichen Weg der Künstlerin von ihrem Wohnort in der Stadt Bielefeld bis zu ihrem Atelier in der benachbarten Kleinstadt Herford säumen.
Dieser führt durch zerfaserte Vorstadtbereiche, gefolgt von eher ländlich geprägten Arealen. Alexandra Sonntag selbst beschreibt dies als einen Weg „durch ein Ostwestfalen, fernab von den Metropolen, den Zentren der Kunst, weder ländlich noch städtisch geprägt, weder schön noch hässlich, sondern auch schön, auch hässlich.“ Ein Gebiet, das sich einer klaren Zuschreibung entzieht und stattdessen von Gegensätzen und Ambivalenzen durchdrungen ist.
Dabei geht es ihr nicht um eine genaue Wiedergabe der Realität. Vielmehr bedient sie sich einer suggestiven Bildsprache mit erzählerischem Unterton, die sowohl Eigenschaften gegenständlicher als auch abstrakter Malerei vereint und bewusst Raum für Uneindeutigkeiten lässt. Wiederkehrende Bildmotive sind alltägliche, unspektakuläre Architekturen: Tankstellen, Mehr- und Einfamilienhäuser, temporäre Bauten wie Telefonzellen, Hochsitze oder Bushaltestellen. Auch Bunker und Container finden Eingang in die „Homeland“-Serie.
Die einzelnen Architekturen werden in der Regel nicht isoliert, sondern im Kontext ihrer Umgebung dargestellt. Arbeiten wie „Haus blau“, „halbes Haus“ oder „missing link“ zeigen offene, fragmentierte Architekturen, die Einblicke ins Innere dieser Gebäude gewähren und so ihre allgemeinen Grundformen freilegen. Die Konturen der Häuser sind jedoch nahezu aufgelöst, einzelne Details lediglich mit groben Pinselstrichen angedeutet und nur schemenhaft erahnbar. Ähnlich verhält es sich mit den umgebenden Strukturen aus fließend kreisförmigen oder wolkenartigen Formationen sowie figurativen Elementen, die zwischen Realem und Imaginärem hin und her wechseln. Sie assoziieren Bäume, Himmel und Gebäude oder bilden organisch wuchernde Gefüge, die an rhizomartige Verbindungen denken lassen und den Lebensräumen etwas Rätselhaftes verleihen. Das Auge des Betrachters bewegt sich mäandernd in einer Mischung aus Sehen und Lesen durch diese atmosphärisch dichten, unruhigen Bildwelten. Die von Alexandra Sonntag gewählte kontrastreiche, flirrend-bunte Farbigkeit bildet dazu eine zusätzliche, irritierende Ebene. Damit gelingt ihr nicht nur ein sehr subjektiver, von Ambivalenz und Entfremdung geprägter Blick auf ihre gebaute Umwelt, sondern auch eine erweiterte Perspektive auf die Komplexität des Alltäglichen.
Alexandra Sonntags Kompositionen zeichnen sich durch einen Zustand des Dazwischen, der stetigen Veränderung aus: Es ist, als wären sie nur für einen Augenblick bildlich fixiert, als würden sie sich jeden Moment wieder in Bewegung setzen. Dieser Eindruck wird durch die gestisch-expressive Bildsprache unterstrichen: Farbkleckse, herabtriefende Farbnasen, grobe Pinselzüge und Farbschlieren dynamisieren die Bildfläche und betonen zugleich den Prozess des Malens selbst.
Viele ihrer Bilder wirken wie Filmstills. Die Künstlerin selbst bezeichnet den Weg von ihrem Wohnort zu ihrem Atelier als „einen (visionären) Film“, den sie in Stills sequenziert und in Malerei übersetzt. Doch in diesem „Film“ sind nicht die Einwohner dieser Orte, sondern die Gebäude selbst die Hauptdarsteller.
Das Hauptwerk der Ausstellung „Tankstelle Herforder Straße“ veranschaulicht dies besonders eindrucksvoll. Es zeigt eine nächtlich beleuchtete, perspektivisch angelegte Tankstelle vor einem düsteren Himmel. Das Dargestellte ist von einer filmischen Präsenz durchdrungen und zieht den Betrachter förmlich in das Bild hinein. Der Vordergrund mit seinen zerfließenden Farbflächen in Orange, Pink und Blaugrün bleibt unbestimmt.
Tankstellen prägen unseren Alltag und bieten einen vertrauten Anblick – beruhigend, in ihrer Standardisierung und Funktionalität aber zugleich unpersönlich. Vor allem aber sind sie Übergangsorte, Symbole für das Transitorische. Indem Alexandra Sonntag die dargestellte Szenerie ganz auf die menschenleere Tankstelle konzentriert, die allein unter einem weiten Himmel steht, wird zudem ein Gefühl von Einsamkeit und Isolation evoziert.
Tankstellen spielen in der Kunst – wie auch im Film – immer wieder eine wichtige Rolle. So finden sich in Alexandra Sonntags Werk zahlreiche Referenzen. Allen voran erinnert es an Edward Hoppers berühmtes Gemälde „Gas“ von 1940, das eine einsame Tankstelle mit drei leuchtend roten Zapfsäulen vor düsterem Wald in der Abenddämmerung zeigt. Selbst „Nighthawks“ kommt einem in den Sinn, auch wenn dort kein Tankstellenmotiv, sondern ein nächtliches Diner dargestellt ist. Ähnlich wie Hopper gelingt es Alexandra Sonntag, eine wirkungsstarke Atmosphäre zu erzeugen, die das Gefühl von Einsamkeit und gleichzeitiger Vertrautheit transportiert und das Alltägliche ins Surreale kippen lässt. Auch fühlt man sich unweigerlich an Ed Ruschas ikonisches Gemälde „Standard Station, Amarillo, Texas“ von 1963 erinnert, eine äußerst dynamische Komposition, die wiederum den transitorischen Charakter der Tankstelle betont.
Um symbolisch stark aufgeladene Motive handelt es sich auch bei den Hochsitzen: funktionale Holzbauten, die vom menschlichen Eingriff in die Natur zeugen, erbaut, um sich gleichsam unsichtbar zu machen und doch über die Landschaft zu wachen. Sie verkörpern sowohl die Sehnsucht nach Beherrschung als auch nach Verbundenheit. In „Hochsitz Trebel“ erhebt sich ein Hochsitz in leuchtendem Rot auf einer sattgrünen Wiese, während sich im Hintergrund ein dunkler Wald erstreckt. Die kraftvolle Farbgebung löst die Konstruktion aus ihrer gewohnten Unscheinbarkeit heraus und verwandelt sie in ein fast monumentales, an Industriearchitektur erinnerndes Zeichen, das zwischen Anpassung und Fremdheit oszilliert.
Ergänzend zu den Werken der „Homeland“-Serie zeigt die Ausstellung eine Auswahl an neuen Arbeiten, die sich mit dem Thema Landschaft auseinandersetzen. Diese entfalten eine „heiterere“ Stimmung, wirken leichter, spielerischer und gleichzeitig um einiges abstrakter. Oft löst die Künstlerin das Sujet in ornamentale Farbflächen auf. Zur Perfektion getrieben ist das locker-elegant aufgetragene Liniengeflecht auf dem Bild „Dickicht“. In anderen Landschaftsbildern wiederum verschmelzen Vorder-, Mittel-, Hintergrund zu sich wiederholenden Mustern, die an Strukturen der Natur erinnern – etwa an die zahllosen Blätter eines Baumes. „So wie unser Verhältnis zur Natur zersplittert ist, so arbeitet Alexandra Sonntag mit Versatzstücken der Landschaftsmalerei. Das große Ganze ist passé.“, wie die Kunsthistorikerin Jana Duda treffend schreibt. In dieser Zersplitterung liegt jedoch nicht nur ein Verlust, sondern auch die Möglichkeit, die konventionellen Kategorien von Landschaft und Malerei neu zu denken.
In ihren jüngsten Werken treibt Alexandra Sonntag den Abstraktionsprozess auf die Spitze, indem sie sich vollständig von allem Gegenständlichen und Narrativen frei macht. Auf kleinen Formaten entstehen durch dick aufgetragene Ölfarbe und gerakelte Strukturen dichte, farbintensive Kompositionen, die die Materialität der Farbe in den Mittelpunkt rücken.
Alexandra Sonntag (*1969 in Herford) studierte Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Nach ihrem Studium war sie Meisterschülerin bei John M. Armleder. Werke der Künstlerin wurden in zahlreichen nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. im Museum Bünde, im Kunstverein Herford, im Kulturamt Frankfurt am Main, der EPH Zürich, der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern, im Bielefelder Kunstverein, im Museum Marta Herford, im Frauenmuseum Bonn und im Franke Museum Institute for the Humanities an der Universität Chicago. Arbeiten von Alexandra Sonntag sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen vertreten, etwa in der Sammlung des Kunstvereins Neustadt am Rübenberge, der Treuhand Frankfurt, der Stadtwerke Bielefeld sowie in verschiedenen Privatsammlungen. Sie lebt und arbeitet in Bielefeld/Herford und Genf.