Als Alison Knowles im September 1962 nach Wiesbaden kam, um gemeinsam mit George Maciunas, Dick Higgins, Nam June Paik, Emmett Williams, Ben Patterson und Wolf Vostell den Vortragsaal des Städtischen Museums für vier Wochenenden und vierzehn Aufführungen im Rahmen der „Fluxus Internationalen Festspiele Neuester Musik“ zu bespielen, war sie 29 Jahre alt. Anders als es das Wiesbadener Publikum von den alljährlichen kaiserlichen „Mai Festspielen“ kannte, war die damalige Konzertreihe ein integraler Bestandteil der radikalen Abkehr von allem, was bis dato in der wohlhabenden und gemäßigten Kunst- und Politikszene nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jemals erlebt worden war. Energetisch, an die Grenzen des vermeintlich „guten Geschmacks“ gehend und den Besuch einer musealen Veranstaltung neu definierend, brach „Fluxus“ mit den Konventionen und Erwartungen — so weit, dass einzelne Wiesbadener:innen die damaligen Ereignisse nur mit einem „Die Irren sind los“ kommentierten.
Die Retrospektive dieser außergewöhnlichen Künstlerin präsentiert das umfangreiche Werk von Alison Knowles von frühesten Arbeiten bis in die Gegenwart. Dabei wirft die Ausstellung einen Blick auf die ideellen Aspekte der Fluxus-Bewegung und der Gedanken jenes Zeitgeists, betont aber vor allem Alison Knowles' einfühlsame und poetische Kunst sowie ihren Blick auf die Welt. Bis heute gilt sie als eine der zentralsten Figuren der Fluxus-Bewegung, wohl auch, da ihr Kunstschaffen die erste Generation von Fluxus überdauerte, und sie sich neben ephemerer, performativer Kunst, ebenso in den Bereichen von Malerei, Druckgrafik, bis hin zu Skulptur und Installation, Klangarbeiten, Poesie und Publikation bewegte.
Till Briegleb, Süddeutsche Zeitung, 11 Okt 24, Nr. 235